Dominium terrae Ausstellungstext

Aus gflk.de
Wechseln zu: Navigation, Suche
Text zur Ausstellung

dominium terrae

Vier internationale Künstler sind auf Initiative der katholischen Kirche ins Wangerland gekommen, um sich mit dem Ort Schillig und der Landschaft am Jadebusen zu beschäftigen. Sie haben vier neue, auf diesen Ort zugeschnittene, künstlerische Projekte entwickelt, die während der Sommersaison 2016 auf dem Schilliger Campingplatz zu sehen und zu benutzen sind.

Viele Menschen kommen zur Erholung nach Schillig, weil sie das raue Meeresklima schätzen, weil sie sich dem Wattenmeer auf eine besondere Weise verbunden fühlen und sich ihm gerne auf eine unmittelbare Weise aussetzen, nämlich in den provisorischen Behausungen wie Wohnwagen und Zelten auf dem Campingplatz. Der Campingplatz liegt in direkter Nachbarschaft zum Nationalpark Wattenmeer, der zugleich UNESCO- Weltnaturerbestätte ist. Besondere Auflagen schützen den einzigartigen Naturraum, der über geführte Wattwanderungen erkundet und ganz direkt erlebt werden kann. Zugleich sind Container-, Tank-, und Kriegsschiffe ständige Begleiter des Schilliger Panoramas und man blickt bis zum Jade-Weser-Port, dem neuen Tiefseehafen bei Wilhelmshaven. Das Meer gerät sowohl als besonderes sensibler Naturraum als auch als Ort des weltweiten Warenumschlags in den Blick. Diese Widersprüchlichkeit eines Raumes, der als einzigartiges Biotop geschützt und zugleich industriell und touristisch genutzt wird, ist Ansatz für die unter dem Begriff dominium terrae in Schillig entstandenen Kunstwerke.

Dominium terrae, das ist im lateinischen Bibeltext die Herrschaft über die Erde, der Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Dieser Auftrag ist immer wieder neu gedeutet worden, als bedingungslose Unterwerfung, als Nutzbarmachung im Sinne einer Förderung von Gesundheit und Wohlstand und als Bewahrung der Schöpfung. Wenn heute auch zumeist die letztere Deutung bevorzugt wird, so zeigt der Blick auf den tatsächlichen Umgang mit unseren Lebensräumen häufig ein mehrdeutiges Bild. In Schillig kann man die verschiedenartigen Zugänge zu der uns umgebenden Landschaft besonders genau betrachten. Die Arbeiten der vier Künstler eröffnen einen fragenden Blick auf die Landschaft, aber auch auf unseren Umgang mit ihr.

Die Ausstellung ist ein Projekt des Bischöflich Münsterschen Offizialats in Vechta und entstand auf Initiative des Kunstprojekts Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, mit dem die katholische Kirche in Deutschland 2015 das 50-jährige Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils begangen hat. Fünfzig Jahre nach dieser unter dem Leitmotiv des aggiornamento, der »Verheutigung« stehenden Modernisierungsbemühung der katholischen Kirche wurden nun zeitgenössische Künstler eingeladen, um in ihren Werken die Hoffnungen und Sorgen der Menschen von heute zu erkunden. Mit dominium terrae gehen Bob Braine, Tue Greenfort, Klara Hobza und Till Krause am Beispiel von Schillig diesen Hoffnungen und Ängsten in Bezug auf den Umgang mit unseren Lebensräumen nach.


Bob Braine: Die Land-Wasser-Tattooserie
Bob Braine ist aus New York nach Schillig gekommen und hat ein besonderes Bild für die Beziehung der Besucher und Bewohner zur Landschaft von Schillig gefunden: Jeder ist samstags und montags während der Öffnungszeiten der Ausstellung eingeladen, sich von Sandra Müller, Tattoo-Künstlerin aus Wilhelmshaven, von Bob Braine entworfene Tattoos mit abwaschbaren Farben auf den Körper malen zu lassen. Die Entwürfe sind von einem Flug über das Wattenmeer inspiriert, den der Künstler im Dezember 2015 unternahm. Sie zeigen, wie die Landschaft mit Watt, Sand, Dünen und Salzwiesen vom Kommen und Gehen des Wassers geformt wurde und noch weiter geformt wird. Aber auch menschliche Spuren geraten in den Blick: Straßen und Wege, Fahrrinnen und die Bombentrichter, die noch heute in den Salzwiesen Wangerooges zu erkennen sind. Das Watt ist ein Raum, der sich ständig verändert, ganz minimal mit jeder Flut und offen sichtbar nach einer Sturmflut. So ist auch eine Karte des Watts immer nur eine Momentaufnahme. Mit seiner Serie von Tattoos fordert Bob Braine unseren Wunsch nach endgültigen Festlegungen heraus und erinnert an Praktiken von Körperbemalung und Tätowierung, die eine besondere Verbundenheit der Menschen mit der Landschaft, in der sie leben, ausdrücken. Auf Vereinbarung kann man sich auch ein bleibendes Tattoo nach den Entwürfen stechen lassen.


Tue Greenfort: Mytilidae
Der dänische, heute in Berlin und Zürich lebende Künstler Tue Greenfort hat in zwei Seecontainern eine begehbare Installation geschaffen, in der eine Serie von Skulpturen aus Miesmuschelschalen zu sehen ist. Die Miesmuschel (lat. Mytilidae) ist ein Lebewesen im Wattenmeer, das wie vielleicht kein anderes die Spannungen von Ökologie und Ökonomie symbolisiert. Sie wird in industrieller Dimension gefischt und doch sind es gerade die Muschelfischer, für die eine Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts, insbesondere der Wasserqualität, von existentieller Bedeutung ist. Miesmuscheln sind Filtrierer und daher reichern sich in ihnen alle Stoffe, die im Wasser sind, an – auch Schadstoffe. Die Miesmuschel ist daher gewissermaßen das Gedächtnis des Wattenmeers und seiner natürlichen und menschlichen Einflüsse. Greenfort zeigt seine Installation bewusst in zwei Seecontainern, die an die neben der Muschelfischerei im gleichen Gewässer ablaufenden Wirtschaftskreisläufe erinnert, deren Zeuge der Besucher von Schillig durch den Blick zum Jade-Weser-Port ist.


Klara Hobza: Die Schlickschlacht zu Schillig
Klara Hobza lebt und arbeitet in Berlin. Das Wattenmeer betrachtet sie als einen Ort des beständigen Kampfes zwischen Ebbe und Flut, Meer und Land, Wasser und Wind, Krebsen und Muscheln. Daraus ist das Video Die Schlickschlacht zu Schillig entstanden. Als symbolische Wesen des Watts treten hier menschliche Darsteller im Schlick zum Kampf an. Ein überforderter Kampfrichter scheitert daran, sie im Zaum zu halten, zwei hinzueilende Bildhauer versuchen, das Schlachtgeschehen in Skulpturen aus Schlick festzuhalten. Das Watt als ein Bereich des Unbestimmten – nicht Land und nicht Meer – wird als Schauplatz von Auseinandersetzungen unterschiedlichster Ebenen beobachtet. Die Arbeit steht damit auch im Zusammenhang der Auseinandersetzungen, die zwischen ökonomischer Nutzung und ökologischer Bewahrung und Pflege stattfinden.


Till Krause: Schillig aufessen
Der Hamburger Künstler Till Krause wird eine neue Form von »Landschaftsmalerei« entwickeln, die darin besteht, den Raum um Schillig förmlich aufzuessen, d.h. alles Essbare und vielleicht auch Nicht-Essbare, das Schillig und seine Umgebung bereitstellt, gemeinsam mit der Botanikerin Josephine Kulow und der Köchin Nancy Kerezsi zu Gerichten zu verarbeiten und gemeinsam mit Gästen auf dem Campingplatz zu verspeisen. Die Ränder der Felder, die Salzwiesen und das Watt, die Gärten Schilligs, buchstäblich jede Hecke, jedes Haus, die Marienkirche, ganz Schillig, die vorbeifahrenden Schiffe, der Horizont und der Himmel werden mit der Intention des Einverleibens betrachtet. Während der ersten drei Wochen der Ausstellung werden Till Krause, Josephine Kulow und Nancy Kerezsi auf dem Campingplatz wohnen und die Speisen zubereiten. Zu den allabendlichen Gasttafeln kann jeder kommen. Über die Zeit entstehen detaillierte Portraits der Mahlzeiten und der Orte und Zusammenhänge, denen sie entstammen. Sie werden in ihrem Fortschreiten präsentiert und am Ende entsteht so etwas wie ein Atlas des verspeisten Schilligs und Wattenmeers.


Weiteres zur Ausstellung

zum Seitenanfang